Quälende Pein nach Amputation | PZ – Pharmazeutische Zeitung

2023-03-08 14:18:44 By : Ms. Kelly ZHU

Von Hartmut Göbel /  Sehr viele Patienten klagen nach der Amputation eines Körperglieds über Phantomschmerzen. Während man früher annahm, dass Phantomschmerzen rein psychische Phänomene sind, geht man heute davon aus, dass sie im Rückenmark und im Gehirn neuronal generiert werden.

Laut Definition sind Phantomschmerzen schmerzhafte Empfindungen in einem Körperteil, der vom Körper abgetrennt wurde. Der Verlust des Körperteils kann durch eine Amputation oder eine Verletzung verursacht sein. Phantomschmerz kann jedoch auch entstehen, wenn lediglich die periphere oder zentrale nervale Versorgung durchtrennt wurde, zum Beispiel bei Rückenmarkverletzungen (sogenannter Deafferentierungsschmerz), bei Erkrankungen oder als Folgen eines Gehirntraumas (zentraler Schmerz).

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Als Phantomgliedschmerz bezeichnet man Schmerzen, die in einem abgetrennten Körperteil als Ganzes oder in einem Bereich des abgetrennten Körperteils empfunden werden (11, 14). Die häufigsten Ursachen sind Amputationen der Arme oder Beine. Die Schmerzen können auch nach Ablation der Brust, von inneren Organen, nach operativer oder traumatischer Entfernung der Zunge, der Augen oder des Penis entstehen.

Unter Phantomgliedempfindung versteht man Wahrnehmungen, die aus dem abgetrennten Körperglied oder Körperteil empfunden werden und definitionsgemäß nicht schmerzhaft sind. Mehr als 80 Prozent der Patienten, denen ein Körperglied fehlt, berichten über solche Empfindungen, zum Beispiel Wärme oder Kälte, Muskelspannungen und -verkrampfungen sowie Berührungsgefühle.

Diese Empfindungen können phasenweise präsent sein. Intensität, Ausprägung und affektive Färbung können im Lauf der Zeit variieren; bei einigen Patienten gehen die Empfindungen zurück, bei anderen bestehen sie lebenslang (21).

Phantomgliedempfindungen können sehr unterschiedlich sein und die Position, Tiefensensibilität, Ausdehnung und das Volumen des abgetrennten Glieds betreffen. So nehmen Patienten das abgetrennte Bein beispielsweise so wahr, als ob es dauerhaft gestreckt oder müde von einer Kraftanstrengung sei. Teleskopgefühle entstehen durch Veränderung des Längenempfindens. So scheint zum Beispiel der Arm ähnlich wie ein Fernrohr verlängert zu sein. Einige Patienten berichten, dass die Extremität ähnlich einer Spiralfeder ausgefahren wird (Spiralgefühl). Bewegungswahrnehmungen vermitteln dem Betroffenen das Gefühl, als ob er zum Beispiel die obere Extremität zum Greifen benutzt oder mit der fehlenden unteren Extremität läuft.

Interessanterweise berichten auch Personen, denen von Geburt an ein Körperteil fehlt, über Phantomgliedgefühle. Sie spüren zum Beispiel Lageempfindungen, Kribbeln, Pulsationen, Verkrampfungen, Bewegungen, Kälte, Wärme oder Berührung.

Phantomschmerzen treten typischerweise innerhalb der ersten Tage nach Verlust des Körperglieds auf und werden immer im abgetrennten Körperglied empfunden. Ebenso wie die nicht-schmerzhaften Empfindungen können auch die Schmerzen variieren und fluktuieren, das heißt, ihre Intensität steigt und klingt dann wieder ab. Zudem gibt es eine Reihe von Variablen, die sie verstärken oder abschwächen. Häufig treten sie in den am weitesten entfernt gelegenen, distalen Körperbereichen des Phantoms auf.

Oft beklagen die Patienten ähnliche Schmerzen wie die, die sie vor der Amputation hatten. So kann zum Beispiel ein verletzungsbedingter schwerer krampfartiger Schmerz im Fuß vor der Amputation danach in ähnlicher Form als Phantomschmerz auftreten. Der Schmerzcharakter wird als brennend, bohrend, stechend, einschießend und elektrisierend beschrieben (neuropathischer Schmerz). Modulierend können physikalische Faktoren wie Kälte, Wärme und Wetterwechsel, aber auch psychologische Mechanismen wie Stress, Angst, Depression und Schlafstörungen wirken.

Nach einer Amputation braucht der Patient ein individuell angepasstes Behandlungsprogramm; die Physiotherapie gehört immer dazu.

Stumpfschmerzen dagegen sind Schmerzen im Bereich des proximalen Stumpfs eines amputierten Körperglieds und dürfen nicht mit Phantomschmerzen gleichgesetzt werden. Sie können lokal durch Nervenwucherungen (Neurome) der durchtrennten peripheren Nerven im Bereich der Abtrennungsstelle, durch Hautdefekte, Durchblutungsstörungen, schlecht sitzende Prothesen oder Prothesendruckstellen bedingt sein und unterhalten werden. Die Behandlung von Stumpfschmerzen zielt direkt auf diese Faktoren ab und unterscheidet sich somit von der bei Phantomschmerzen.

Die Unterbrechung der peripheren Nerven, zum Beispiel nach Amputation oder nach kompletter oder inkompletter Rückenmarkverletzung, wird umfassend als Deafferentierungsschmerz bezeichnet. Dieser ist eine Sonderform von neuropathischen Schmerzen nach einer Schädigung oder Erkrankung des peripheren oder zentralen Nervensystems.

Unmittelbar nach der Amputation berichten mehr als 90 Prozent aller Patienten von Phantomempfindungen. Etwa 75 Prozent geben diese bereits mit Nachlassen der Anästhesie an; beim Rest treten sie innerhalb der nächsten Tage oder Wochen auf.

Die Häufigkeit von Phantomschmerz hängt vom betroffenen Körperglied ab. Bei Amputation der oberen Extremität klagen nahezu 82 Prozent der Betroffenen über Phantomschmerzen; im Bereich der Beine sind es etwa 54 Prozent. Die Pein scheint besonders ausgeprägt aufzutreten, wenn der Patient bereits vor der Amputation Schmerzen im betreffenden Körperglied hatte. Ebenso beeinflusst der Umfang des abgetrennten Körperglieds die spätere Häufigkeit der Schmerzen. Je größer der abgenommene Teil ist, umso stärker und ausgeprägter sind diese (20).

Während man früher meinte, dass Phantomschmerzen rein psychische Phänomene darstellen, gehen Wissenschaftler heute davon aus, dass Phantomschmerzen und -empfindungen im Rückenmark und im Gehirn neuronal generiert werden (1, 2, 15, 26). Jedoch ist deren Entstehung bis heute nur unzureichend aufgeklärt.

Sitzt die Prothese nicht richtig, drohen Druckstellen, Wunden und Schmerzen.

Die ausschließliche Entstehung von Phantomschmerzen durch Neurome am Stumpfende wird nicht mehr als Haupt­ursache angesehen, da auch Patienten mit angeborenen Fehlanlagen von Körpergliedern über Schmerzen in den fehlenden Gliedern klagen (19). Die heutigen Erklärungskonzepte zielen auf die fehlerhafte Interpretation der peripheren Nervenreize, die durch die veränderte afferente Stimulierung im zentralen Nervensystem als Schmerz interpretiert werden, auf veränderte neuronale Erregungsmuster und kortikale Organisationsphänomene. Dabei sind Mechanismen in der Peripherie, im Rückenmark und im Gehirn involviert.

Periphere Mechanismen betreffen die Aktivierung von elektrischen Signalen in den durch die Nervendurchtrennung entstandenen Nervenwucherungen, den sogenannten Neuromen. Die durchtrennten Nervenstümpfe bilden Aussprossungen, die knäuelartig wachsen. Sie können dabei gegenseitig Kontakt aufnehmen und sich so direkt stimulieren. Die Schmerzen bleiben bestehen, wenn die peripheren Ak­tionspotenziale komplett durch Nervenblockaden ausgeschaltet werden. Umgekehrt können jedoch Phantomschmerzen durch die Aktivierung von peripheren Nerven und Nervenstümpfen verstärkt werden. Daher nimmt man heute an, dass diese peripheren Mechanismen mehr eine modulierende Wirkung auf Phantomschmerzen und weniger eine ursächliche Bedeutung haben.

Spinale Mechanismen auf Rückenmarksebene sind ebenfalls involviert. So wird nach Nervendurchtrennung eine Degeneration von C-Fasern im Hinterhorn des Rückenmarks beobachtet, die normalerweise in die Übermittlung von Schmerzempfinden involviert sind. Das im Rückenmark ankommende neuronale Erregungsmuster wird dadurch verändert; es entsteht ein Übergewicht von elektrischen Erregungen, die im Rückenmark normalerweise für Tiefensensibilität und Tastsinn verantwortlich sind. Aufgrund des veränderten Reizmusters werden die normalerweise nicht schmerzhaften Reize nun als Schmerz interpretiert.

Auch Neurotransmitter, die üblicherweise für die Schmerzwahrnehmung verantwortlich sind, werden nach Amputationen in veränderter Weise exprimiert. Dies betrifft insbesondere Substanz P. Diese gehört zur Familie der Neurokinine und wird normalerweise von A-Delta- und C-Fasern exprimiert, nach Amputationen aber auch von A-Beta-Fasern. Die Folge ist eine Übererregbarkeit für Schmerzsignale im Rückenmark: Vorher nicht schmerzhafte Reize können nunmehr Schmerzempfinden auslösen.

Nach Amputationen kann im Bereich zentraler schmerzverarbeitender Strukturen des Gehirns eine funktionelle Reorganisation ablaufen. Dabei wird eine ausgeprägte Plastizität von neuronalen Funktionen beobachtet. Die neuronale Repräsentation von motorischen Arealen auf der Hirnrinde kann durch die Amputation signifikant verschoben werden (Cortical remapping).

Komplexe Theorien zur Entstehung von Phantomschmerzen beziehen das gesamte neuronale Netz und Wahrnehmungsmuster mit ein. Bewusstsein und Erlebnisinhalte werden durch das neuronale Erregungsmuster afferent erzeugt und efferent verarbeitet. Genetische Mechanismen und Lebenserfahrungen prägen die Bildung der neuronalen Muster und die dadurch bedingten Erlebnisinhalte. Durch den Wegfall der peripheren Stimulation nach der Amputation wird dieses Muster verändert, als Folge können Phantomschmerzen entstehen (5, 12, 24).

Bis heute ist unbekannt, warum ein Teil der Patienten nach einer Amputation mit Phantomschmerzen reagiert und andere nicht. Bekannte Risikofaktoren sind insbesondere Schmerzen in dem betroffenen Glied vor der Amputation. Dafür werden Gedächtnisphänomene und die Übererregbarkeit des zentralen Nervensystems durch die fehlende periphere Stimulation verantwortlich gemacht.

Patienten, die nach der Amputation unter Stumpfschmerzen klagen, leiden sehr häufig auch unter Phantomschmerz. Schlecht sitzende Prothesen können Phantomschmerzen unabhängig von bestehenden Stumpfschmerzen verstärken.

Vor, bei und nach der Amputation

Bereits vor und während der Amputation können Ärzte prophylaktisch tätig werden, um die Entstehung von Phantomschmerzen möglichst zu vermeiden. Im Mittelpunkt steht dabei ein konsequentes präoperatives Schmerzmanagement. Es soll die kontinuierliche Stimulation aus der Peripherie unterbinden, um eine Zunahme der Schmerzempfindlichkeit auf Rückenmarksebene (zentrales »Wind-up«), der Entstehung eines Schmerzgedächtnisses und einer zentralnervösen Sensibilisierung vorzubeugen. Rückenmarksnahe Anästhesieverfahren können die Auslösung von Phantomschmerzen durch Hemmung intraoperativer Schmerzreize reduzieren. Ketamin soll NMDA-Rezeptoren modulieren und damit neuroplastische Veränderungen verhindern. Entscheidend zur Prophylaxe ist auch eine konsequente postoperative Schmerztherapie.

A-Beta-Fasern: dicke Nervenfasern, die Berührungsimpulse der Haut weiterleiten

A-Delta-Fasern: dicke Nervenfasern, die Impulse von Mechanorezeptoren, Thermosensoren und Schmerzpunkten der Haut weiterleiten; schnelle Schmerzfasern

Afferente Nervenfaser, Afferenz: Nervenbahn, die Reize von peripheren Sensoren (Rezeptoren) zum Zentralnervensystem (ZNS) leitet. Somatische Afferenzen übermitteln Meldungen von Skelettmuskeln, Gelenken, Haut und höheren Sinnesorganen. Viszerale Afferenzen leiten »Nachrichten« aus den Eingeweiden an das ZNS weiter.

C-Fasern: marklose, sehr dünne Nervenfasern, die Impulse von Mechano-, Kalt- und Warmrezeptoren sowie Nozizeptoren weiterleiten; langsame Schmerzfasern

Deafferentierungsschmerz: Schmerzen, die auftreten, obwohl der Nerv, der den Schmerzimpuls aus der Peripherie überträgt, ausgeschaltet oder durchtrennt ist

Efferente Nervenfasern, Efferenz: Informationsvermittlung vom Zentralnervensystem zur Peripherie. Motorische Efferenzen steuern die Skelettmuskulatur. Vegetative Efferenzen innervieren die glatte Muskulatur der Eingeweide und der Gefäße sowie Herz und Drüsen.

Komplexes regionales Schmerzsyndrom (Complex Regional Pain Syndrome, CPRS): chronische neurologische Erkrankung nach Weichteil- oder Nervenverletzung. Typ I wird nach dem Entdecker, dem Hamburger Chirurgen Paul Sudeck, häufig noch als Morbus Sudeck bezeichnet.

Kontraktur: Dauerverkürzung von Muskeln und Muskelgruppen; kann eine anhaltende Gelenkszwangstellung bewirken

Neurom: Nervenwucherung; gutartiges Neoplasma (Tumor) aus Nervenzellen und -fasern

Stumpfkonditionierung oder -behandlung: Überbegriff für alle rehabilitativen Maßnahmen zur Vorbereitung des Stumpfs auf eine prothetische Versorgung im Anschluss an eine Amputation

Substanz P: Neurotransmitter aus der Familie der Neurokinine, der eine Rolle bei der Schmerzübertragung und der Steuerung von Entzündungsprozessen spielt

Wird möglichst peripher amputiert, kann dies spätere Komplikationen reduzieren und die Behandlung und den Rehabilitationsverlauf deutlich verbessern (3). Schonende Operationstechniken, sorgfältige Abrundung des Knochenstumpfs, Kürzung der Nervenenden mit deutlichem Abstand vor dem knöchernen Stumpfende, sorgfältige Weichteildeckung des Stumpf­endes und Fixierung der Stumpfmuskulatur über dem knöchernen Stumpfende können den Behandlungsverlauf deutlich günstig beeinflussen (6, 16).

Die Physiotherapie zielt besonders in der Frühphase nach der Amputation auf die Ödemreduktion im Stumpfbereich, Förderung der Durchblutung und Vorbeugung von Kontrakturen ab. Weitere Ziele sind Stumpfkonditionierung und Prothesentraining. Je nach Amputationsursache kommen unterschiedliche Behandlungen infrage. Physikalische Maßnahmen schließen Massagen im Stumpfbereich, Lymphdrainagen, Elektrotherapie, Thermotherapie sowie muskuläre Pflege ein. Die Sporttherapie soll Kreislauf, Gefäße und Kraft trainieren. Ergotherapeutische Maßnahmen zielen auf soziale und berufliche Aktivierung ab (22).

Psychologische Therapien sollen die Fähigkeit fördern, Krankheit und Schmerz besser zu bewältigen. Psychische Komplikationen, insbesondere posttraumatische Belastungsstörungen und Persönlichkeitsveränderungen, Depressionen, Angsterkrankungen und Schlafstörungen werden verhaltenstherapeutisch behandelt.

Selbsthilfemaßnahmen können durch Gruppentherapie eingeleitet werden. In die Selbsthilfe sollten auch die Angehörigen einbezogen werden (25).

Bei der Behandlung von Stumpfschmerzen versucht man zunächst, die peripheren Bedingungen zu verbessern. Diese betreffen ungünstige Stumpfverhältnisse wie Narben, ungünstige Weichteilabdeckungen, lokale scharfkantige Knochenstümpfe, Durchblutungsstörungen und lokale Haut­irritationen.

Sitzt die Prothese nicht richtig, entstehen Druckstellen. Ebenso müssen Mängel in der Prothesentechnik beseitigt werden. Lokale Neurombildung, schmerzhafte Nervenstümpfe sowie Irritationen von Nervenwurzeln und peripheren Nerven triggern den Schmerz und müssen behandelt werden. Eventuell ist eine Operation nötig, beispielsweise um narbige Einziehungen oder komprimierte Nerven zu entlasten. Erkrankungen des Stütz- und Bewegungssystems durch Fehlstatik sowie Gelenküberlastungen, aber auch postoperativ entstandene komplexe regionale Schmerzsyndrome (Complex Regional Pain Syndrome, CPRS Typ 1 oder Typ 2) sind ebenfalls zu beachten.

Bis heute ist es nicht möglich, Phantomschmerzen postoperativ auszuschließen. Leider sind Schmerzen, die länger als sechs Monate bestehen, prognostisch ungünstig und häufig weiterhin präsent (17, 18, 22).

Zur Schmerztherapie werden ähnliche Medikamente wie bei anderen neuropathischen Schmerzen eingesetzt. Diese schließen Antikonvulsiva, Antidepressiva und Opioide ein.

Bei elektrisierenden, stechenden und neuralgiform einschießenden Schmerzen können Antikonvulsiva wie Pregabalin, Carbamazepin oder Gabapentin verwendet werden. Kontinuierliche Missempfindungen, dumpfe Dauerschmerzen und brennende Schmerzen sprechen auf trizyklische Antidepressiva wie Amitriptylin, Doxepin oder Trimipramin an. Diese sind auch hilfreich, wenn Schlafstörungen und Stimmungsprobleme im Vordergrund stehen.

Mittel- und hochpotente Opioidanalgetika werden individuell eindosiert und je nach Schmerzintensität angepasst. Moderne retardierte Opioide können bei Deafferentierungsschmerzen sowie Stumpf- und Phantomschmerzen wirksam sein. Dabei sind substanzbedingte Nebenwirkungen wie Obstipation und Sedierung zu berücksichtigen und gegebenenfalls zu behandeln. Sympathikusblockaden können in der Frühphase der Behandlung wirksam sein.

Optionen in der Spätphase

Bei chronischen Phantomschmerzen werden sämtliche Optionen der multimodalen Schmerztherapie eingesetzt. Diese schließen physikalische Therapien, transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS), Entspannungsverfahren sowie verhaltenstherapeutische und medikamentöse Maßnahmen ein. Allerdings kann man im Einzelfall nicht vorhersagen, welche Therapien wirksam sind. Vielmehr muss man individuell mit dem Patienten ein therapeutisches Konzept finden; häufig geschieht dies durch Versuch und Irrtum. Neben den medikamentösen Optionen steht eine Reihe anderer Verfahren zur Verfügung, zum Beispiel myoelektrische Prothesen, die Spiegeltherapie oder Akupunktur.

Künstliche Gliedprothesen, sogenannte myoelektrische Prothesen, kann der Prothesenträger direkt über neuronale Signale ansteuern und willentlich zielgerechte Bewegungen ausführen. Durch diese Prothesen können Phantomschmerzen reduziert werden.

Bei der Spiegeltherapie handelt es sich um eine spezielle Form der Imaginationstherapie. Dabei wird der Patient so vor einen Spiegel platziert, dass er im Spiegel die gesunde Extremität sieht und diese dem Gehirn als funktionsfähige spiegelbildliche Extremität sichtbar macht. Dem gesunden Körperteil werden Berührungsreize dargeboten. Das Gehirn ordnet nun diese Reize dem amputierten Körperglied zu. Auf diese Weise kann der Patient schmerzhafte Positionen und Verkrampfungen im amputierten Körperteil entspannen und die damit verbundenen Schmerzen lösen.

Bei der Spiegeltherapie betrachtet der Patient seinen gesunden Arm im Spiegel, das Gehirn ordnet die Berührungsreize aber dem amputierten Körperglied zu.

Üblicherweise wird für die Therapie eine sogenannte Spiegelbox verwendet. Diese hat zwei Öffnungen, zum Beispiel eine für den vorhandenen Arm und eine für den Stumpf. Der Patient führt dann symmetrische Übungen mit beiden oberen Extremitäten aus. Dabei beobachtet er die Bewegungen im Spiegel. Durch Imagination stellt sich das Gehirn vor, dass er das fehlende Glied bewegt und aktiv trainieren und beeinflussen kann (8, 9, 10). Studien zeigen, dass die Schmerzen mit dieser Methode willentlich gebessert werden können.

In neueren Versuchen werden dem Gehirn auch Computer-generierte Spiegelbilder des intakten Körperglieds über eine Videobrille gezeigt. Das Gehirn nimmt dann anstatt der fehlenden eine funktionsfähige Extremität wahr. Der Patient kann virtuell mit dem nicht vorhandenen Körperglied Aufgaben übernehmen und ausführen. Erste Untersuchungen deuten darauf hin, dass Phantomschmerzen durch die »virtuelle Spiegelbrille« positiv beeinflusst werden (27).

Akupunktur kann zu einem veränderten peripheren afferenten Bewegungsmuster beitragen und bei einigen Patienten die Beschwerden lindern. Die »Spinal Cord Stimulation« (SCS) bedeutet eine elektrische Stimulation durch neurochirurgisch implantierte Elektroden im Bereich des Rückenmarks. Die SCS kann die peripheren neuronalen Muster verändern und deszendierende inhibitorische Systeme aktivieren (4, 7). Für die tiefe Hirnstimulation (Deep Brain Stimulation, DBS) werden Elektroden in schmerzverarbeitende Strukturen des Gehirns neurochirurgisch implantiert und können dort die Schmerzentstehung verringern (20).

Lokale Injektionen mit Lokalanästhetika oder Corticosteroiden – alleine oder in Kombination – im Stumpfbereich können ebenfalls Phantomschmerzen reduzieren. Die intrathekale (rückenmarksnahe) Opioidapplikation kann im Einzelfall sinnvoll sein. Dank der retardierten Opioidanalgetika schwindet der Stellenwert dieser Anwendungsform jedoch zunehmend.

Wenn periphere Mechanismen wie Neurome, Nervenkompression oder Nervenwurzelirritationen bei der Schmerzentstehung relevant sind, kann der Arzt eine operative Korrektur (Stumpfrevision und Nervenresektion) erwägen. Auch periphere Nervenanostomosen (operative Verbindung von Nerven) können in spezialisierten Zentren angelegt werden (13).

Phantomschmerzen müssen immer individuell betrachtet und angepasst an den jeweiligen Verlauf behandelt werden. Der Patient braucht eine langfristige Begleitung. Durch die Zusammenstellung einer spezialisierten multimodalen Therapie gelingt es, bei vielen Betroffenen die Schmerzen wirksam zu lindern und die Beschwerden zu verbessern. /

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Hartmut Göbel studierte Psychologie und Medizin und wurde 1986 promoviert. Es folgten psychiatrische, neurologische, neurochirurgische und neuroradiologische Weiterbildungen sowie eine psychotherapeutische Ausbildung. 1992 habilitierte er sich zum Thema Schmerzmessung. Zunächst an der Klinik für Psychiatrie der Universität Ulm, war er danach als Assistenz- und Oberarzt an der Neurologischen Universitätsklinik Kiel tätig und leitete die neurologische Schmerzambulanz. 1997 gründete er die neurologisch-verhaltensmedizinische Schmerzklinik Kiel, deren ärztlicher Direktor er bis heute ist. Professor Göbel erhielt zahlreiche nationale und internationale Preise, ist Mitglied des Herausgeberboards mehrerer wissenschaftlicher Zeitschriften und hat mannigfaltige Tätigkeiten in wissenschaftlichen Gesellschaften inne. Er hat mehr als 400 Publikationen aus dem Gesamtgebiet der Schmerztherapie, darunter Monographien, Standardlehrbücher, Patientenratgeber und Compact-Discs verfasst.

Professor Dr. med. Hartmut Göbel

hg(at)schmerzklinik.de; www.schmerzklinik.de

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